"Meine Stadt"

El Alto. Wie der Name schon sagt, liegt mein neues Zuhause nicht gerade auf derselben Höhe wie die Niederlande. Es liegt auch nicht auf derselben Höhe wie Leverkusen oder Sucre. El Alto ist ein ehemaliger Stadtteil von La Paz, dem Regierungssitz Boliviens, und befindet sich auf dem Altiplano auf ca. 4100 m Höhe. Da kann einem schon mal die Luft wegbleiben, auch wenn man sich lediglich beim Laufen unterhält.
El Alto ist rund um den Flughafen von La Paz entstanden, ist aber auf Grund der stetig wachsenden Zuwanderung (viele Leute vom Land kommen nach La Paz um zu arbeiten, können sich aber die Preise dort nicht leisten und ziehen ins nahegelegene, aber deutlich billigere El Alto) seit ____ eine eigenständige Stadt. Außerdem zählt sie zu den am schnellsten wachsenden Städten Lateinamerikas und bietet eine große Vielfalt an indigener Kultur. Im Gegensatz seinem touristisch-attraktiven und eher westlich orientierten Nachbarn La Paz ist El Alto eine bunte Mischung der unterschiedlichsten indigenen Einflüsse. Als Europäer/Europäerin mit blonden Haaren ist man hier natürlich schnell eine kleine Attraktion und fällt auf wie ein bunter Hund.
Viele Bolivianer beschreiben El Alto entweder als „hässlich“ oder „gefährlich“ oder nennen gleich beide Adjektive in einem Satz. Fakt ist, dass die dominierenden Farben hier in El Alto tatsächlich braun und grau sind, dass viele Straßen und Häuser auf absehbare Zeit nicht fertig gebaut werden und dass auch alteingesessene Bewohner El Altos nachts am liebsten gar nicht, und wenn unbedingt nötig niemals allein auf die Straße gehen. Mir als blonder Frau wird grundsätzlich davon abgeraten viel allein unterwegs zu sein, egal ob Tag oder Nacht, allerdings kann man mit einer gewissen Portion Aufmerksamkeit und Vorsicht sehr gut auch allein morgens zur Arbeit gehen. Man darf auch nicht glauben, dass hinter jeder Straßenecke ein Unheil wartet, jedoch sollte man seinen gesunden Menschenverstand nicht ausschalten. Kleine, dunkle Gassen und Rudel kämpfender Hunde sind doch am besten zu vermeiden.
Trotz alledem würde ich El Alto nicht als hässlich beschreiben! Jeden Tag entdecke ich aufs Neue Dinge, die mich staunen lassen und die mir so in sekundenbruchteilen bestätigen, dass ich hier richtig bin, auch wenn ich Bäume und Blumen doch etwas vermisse. Das kann an einem Tag die nette Frau an der Straßenecke sein, die Süßigkeiten und den absolut besten Orangensaft verkauft, am nächsten Tag vielleicht ein buntes Haus und am übernächsten die Wolken, die hier viel näher am Boden zu sein scheinen, als ich es je für möglich gehalten hätte.
Außerdem genieße ich jedes Mal, wenn ich mit dem Bus Richtung Ceja oder Cruze Viache (die beiden Verbindungspunkte zwischen El Alto und La Paz) fahre, die einmalige Aussicht auf die verschneite Bergkette z.B. mit dem Illimani (6402 m), die die beiden Städte umgibt. Möchte man nun nach La Paz runter (La Paz liegt im Gegensatz zu El Alto nicht auf dem Altiplano sondern in einer Art Talkessel) gibt es drei Möglichkeiten. Die erste ist mit einem Sammeltaxi, genannt Trufi über die Cruze Viache. Das dauert ca. eine halbe Stunde, man ist aber relativ unabhängig vom Berufsverkehr. Alternativ kann man an der Ceja, einer breiten, lauten und quasi immer überfüllten Straße, einen Minibus nehmen, der über die Autobahn nach La Paz fährt. Kommt man hier allerdings zur falschen Uhrzeit, ist es nicht ungewöhnlich, dass man eine gute Stunde nach einem Minibus suchen muss, der sowohl in die richtige Richtung fährt, als auch noch einen Platz frei hat. Zu guter Letzt, gibt es seit wenigen Monaten die Möglichkeit von der feria 16 de mayo, dem größten Markt El Altos und gleichzeitig einem der größten Märkte weltweit, mit der Gondel nach La Paz zu fahren. Die Bolivianer sind mächtig stolz auf diese neue und bisher einmalige Transportmöglichkeit und die Aussicht ist wirklich umwerfend. Man schwebt über die Dächer La Paz und wird sich erst aus dieser Perspektive bewusst, welche Ausmaße das Stadtgebiet von La Paz überhaupt hat.
Wer auf dem gleichen Weg wieder nach El Alto hinauffährt, kommt an einem Donnerstag oder Sonntag um einen Besuch auf der feria definitiv nicht herum. Dort gibt es einfach alles, angefangen von Essen und Trinken, über Handyhüllen, Musik, Kleidung, Autos, Küchengeräte und Möbel bis hin zu Tieren, Pflanzen und kleinen Souvenirs für Touristen. Allerdings sollte man hier, wie eigentlich in jeder Großstadt, sehr gut auf seine Taschen und Wertgegenstände aufpassen, ansonsten stehen sie hier in der nächsten Woche zum Verkauf.
Für mich ist das Leben in einer Großstadt eine komplett neue Erfahrung, die ich abe in vollen Zügen genieße, steht man jedoch direkt neben einem alten Minibus, sollte man sich das mit den vollen Zügen nochmal überlegen, Abgasfilter sind hier leider noch eine Seltenheit.

1. Die Ceja in El Alto 2. Die Straße vor meinem Haus 3. "feria 16 de mayo" - Markt 4. Mein Arbeitsplatz 5. La Paz - Innenstadt 6. Shopping in La Paz 7. Der Huayna Potosí 8. La Paz - soweit das Auge reicht