Das Kürmi

Da ich mich ja für ein FSJ im Ausland und nicht für eine Bolivienrundreise entschieden habe, habe ich natürlich auch eine feste Arbeit hier in El Alto.
Ich arbeite von montags bis freitags im „Centro de Educación Alternativa Kürmi“, einem Zentrum für Kinder von sieben bis achtzehn Jahren (Geschwisterkinder können in Ausnahmefällen auch jünger sein, müssen allerdings in die Schule gehen), die aus den unterschiedlichsten Gründen hier Unterstützung bekommen. Oft gibt es familiäre Probleme oder Notlagen der unterschiedlichsten Art, weswegen die Kinder bei sich Zuhause nicht die nötige Aufmerksamkeit und Unterstützung bekommen können, die sie brauchen. An dieser Stelle kommt dann das Kürmi ins Spiel.
Da es in Bolivien üblich ist, dass eine Hälfte der Kinder vormittags zur Schule geht und die andere Hälfte nachmittags, gibt es auch im Kürmi einen Vormittags- und einen Nachmittagsturno. Die Kinder bekommen Frühstück und Mittagessen bzw. Mittagessen und einen Snack am Nachmittag, können sich einmal die Woche duschen und haben ansonsten die Möglichkeit ihre Hausaufgaben zu machen  und zu spielen. Im Zentrum wird viel Wert auf die Wertevermittlung gelegt. Die Kinder sind gemäß ihrem Alter in vier verschieden Gruppen eingeteilt, die sich Inti, Phaxsi, Pacha und Wara Wara nennen (Aymara für Sonne, Mond, Erde und Sterne). In diesen Gruppen werden dann zum Beispiel Geschichten gelesen und reflektiert, es wird über Themen wie Mobbing oder wahre Freundschaft geredet oder auch einfach gebastelt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ernährung. Da viele Kinder Zuhause nicht die Möglichkeit haben, sich ausgewogen und gesund zu ernähren, wird im Kürmi besonders darauf geachtet, was auf den Tisch kommt. Die Kinder und Jugendlichen sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie wichtig gesunde Ernährung für ihre Gesundheit ist, was aber nicht selten zu kleinen oder größeren Diskussionen im Essenraum führen kann. Als dritter Punkt möchte das Kürmi die Hygieneerziehung der Kinder unterstützen, welche Zuhause in den Familien nicht selten zu kurz kommt. Hierfür gibt es auf der einen Seite die Duschzeiten, auf der anderen Seite aber auch Workshops des Gesundheitszentrums oder andere Angebote.
Im Kürmi arbeiten zur Zeit neben meiner Chefin Monica sechs weitere festangestellte Personen, eine Psychologin, eine Sozialarbeiterin, eine Köchin, zwei Erzieherinnen und David als eine Mischung aus Hausmeister und „Junge für alles“. Bedenkt man nun, dass zusammengerechnet gut 70-80 Kinder täglich das Kürmi besuchen, scheint das eine verschwindet geringe Anzahl an Mitarbeitern. Das Kürmi ist also auf die Hilfe von Freiwilligen angewiesen. Neben der Bolivienbrücke, die jährlich einen Freiwilligen nach El Alto entsendet und so eine bezahlte Arbeitskraft ersetzt, gibt es auch andere Organisationen oder auch Universitäten die entweder finanzielle oder materielle Unterstützung leisten oder auch Freiwillige entsenden, meist aber nur für einen Zeitraum von zwei bis drei Monaten.
Mein Aufgabenbereich ist sehr weit gefächert. Normalerweise bin ich im Salon „Phaxsi“ und unterstütze dort Zulma, die Erzieherin, bei allem, was so ansteht, allerdings bin ich als Freiwillige auch eine Art Lückenfüller und springe immer dort ein, wo gerade Hilfe gebraucht wird, sei es bei der Essensausgabe, in der Ludoteca (eine Art Spielzimmer) oder in den Duschen. So habe ich aber auch die Möglichkeit, in allen Bereichen etwas mitzumischen, weswegen ich mich noch nicht ganz traue, von einem Arbeitsalltag zu sprechen.
Freitags kommen die Kinder nur zum Mittagessen ins Kürmi, die restliche Zeit haben wir als Team Besprechung. Dort werden dann verschiedene Aktivitäten geplant und abgesprochen, aber auch die soziale Situation verschiedener Familien angesprochen. Das ist sehr wichtig, da man so über die Kinder und ihre Situation Bescheid weiß, eventuell gewisse Verhaltensweisen besser beobachten/verstehen oder einordnen und entsprechend reagieren kann.
Ich fühle mich im Kürmi sehr wohl, verstehe mich sowohl mit meinen Kollegen als auch mit den Kindern sehr gut und genieße die Arbeit in vollen Zügen. Manchmal kommt es natürlich auch zu frustrierenden Situationen, man hat zum Beispiel das Gefühlt mit einer Wand zu reden anstatt mit einem Kind oder wünscht sich Ohrenschützer im Essensraum, doch solange man den positiven Momenten, wenn man wirklich helfen konnte oder auch einfach mal ein Lächeln geschenkt bekommt, genauso viel Aufmerksamkeit schenkt, kann man sich hier nur wohl fühlen.