Willkakuti 5523 oder auch eine verfrorene Nacht im Altiplano

Frohes neues Jahr 5523 ! Ihr wundert euch? Aber keine Sorge, ich leide weder unter großer Verwirrung noch habe ich eine Zeitmaschine erfunden.
Am letzten Sonntag, dem 21.7, wurde hier in Bolivien das Año Nuevo Aymara gefeiert, das „neue Jahr der Aymara“. Und dieser Zeitrechnung folgend befinden wir uns nun eben im Jahr 5523.
Traditionell wird das Año Nuevo Aymara/der Willkakuti (Aymara: Rückkehr der Sonne) in Tiwanaku gefeiert, einem Ort etwa eine Stunde von El Alto entfernt, der als Hauptstadt der gleichnamigen Hochkultur im Altiplano vor den Inkas gilt. Und da ich nun schon mal dort in der Nähe wohne, habe ich es mir mit drei Freunden nicht nehmen lassen, das Ganze auch vor Ort mit zu verfolgen und mitzufeiern.

So haben wir uns Samstagabend mit dem Auto (ich weiß gar nicht, wann ich davor das letzte Mal in einem Privatauto gefahren bin) auf den Weg nach Tiwanaku gemacht. Da die Straßen doch noch recht leer waren haben wir nach einem kurzen Spaziergang durch den Ort beschlossen, uns erst noch etwas im Auto aufzuwärmen und die mitgebrachten Sandwichs zu vernichten. Gegen Mitternacht, die Straßen wurden langsam deutlich voller, haben wir uns dann auf den Weg zur Plaza Central gemacht, auf der eine kleine Bühne aufgebaut worden war. Dort gab es dann die ein oder andere Coverband zu hören, und nicht selten tönte es „Jallalla Bolivia“ (Aymara: Es lebe Bolivien) über den gesamten Platz. Die Musik war durchaus auch zum tanzen geeignet und um die Kälte zu vertreiben waren auch wir mitten auf der Tanzfläche mit dabei.

Als die Lieder sich aber langsam zu wiederholen begannen, haben wir uns dann doch lieber Richtung Auto zurückgezogen und ein kleines Lagerfeuer gemacht. Es war wirklich lustig zu sehen,  wie in dieser Nacht auf jeder noch so kleinen Grasfläche ein Feuerchen brannte, das Altiplano kann nachts aber auch wirklich kalt werden! Zwischendurch haben sich auch ein paar Polizisten zu uns gesellt, die scheinbar auf der Suche nach etwas Wärme von Feuer zu Feuer zogen. Nachdem unsere Lautsprecher leider relativ schnell den Geist aufgegeben haben, haben wir auf der Suche nach guter Musik auch ein paar unserer Nachbarn (viele sogar mit Zelten!) kennengelernt. Irgendwann waren meine Füße aber trotz Nähe zum Feuer zu Eisklötzen gefroren und als unser Holz zu Ende gebrannt war haben wir uns einen Moment ins Auto verzogen und versucht, uns mit den wenigen mitgebrachten Decken zu wärmen. Das Ganze hat mäßig geklappt, aber zumindest war man keinen Windstößen mehr ausgesetzt.

Gegen sechs Uhr morgens haben wir uns dann wieder aus dem Auto geschält und in die Schlange vor dem Eingang zu den Ruinen gestellt, wo die Hauptzeremonie stattfinden sollte. Wenn das überhaupt möglich war, war es in der kurzen Zeit im Auto noch kälter geworden. Doch langsam kam zum Glück das Tageslicht zurück und sobald es einigermaßen hell war, hatte zumindest ich das Gefühl, es sei auch wieder etwas wärmer. Auf dem Hauptplatz angekommen mussten wir feststellen, dass wir leider etwas zu spät waren, um von der eigentlichen Zeremonie etwas zu sehen, da bereits reihenweise Menschen vor uns da waren, allerdings liegt das Hauptaugenmerk der ganzen Festlichkeiten ja auf dem Sonnenaufgang, und denn konnte man auch gut aus der letzten Reihe sehen. Ungefähr fünf Mal war ich fest davon überzeugt, in wenigen Sekunden würden die ersten Sonnenstrahlen über die Hügel kriechen, doch im Endeffekt hat es noch fast bis  sieben Uhr morgens gedauert, bis endlich der langersehnte Moment da war. Sobald die ersten richtigen Sonnenstrahlen über der Bergspitze zu sehen waren und durch die Puerta del Sol (Spanisch: Sonnentor) fielen, streckten alle Anwesenden ihre Hände Richtung Sonne, um die Energie des Willka Tata (Aymara: Sonnenvater) zu empfangen. Ich fand das einen ganz bewegenden Moment, wie da so alle mit den erhobenen Armen standen und außer der indigenen Musik der Zeremonie einfach nichts zu hören war. Auch wenn ich mit einem anderen Glauben aufgewachsen bin, war dies eine wirklich spannende Erfahrung.

Nach dem die letzen Töne der Musik verklungen waren und die Mallkus, die Repräsentanten der verschiedenen Dörfer rund um Tiwanaku, ihre Zeremonie beendet hatten, war noch etwas Zeit um Fotos zu machen (mir war es ein absolutes Rätsel, wie trotz meinem Schneemannoutfit und meinem müden Gesichtsausdruck immer noch Leute auf die Idee kamen Fotos mit mir machen zu wollen). Danach haben wir uns auf den Weg zur Plaza Central gemacht um zu frühstücken und haben im Anschluss noch etwas auf der Wiese vor dem Auto gelegen und die Sonne genossen bis die anderen Autos soweit weggefahren waren, dass auch wir den Nachhauseweg antreten konnten.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Rita Neumann-Rstow (Montag, 13 Juli 2015 16:44)

    Solche Rituale bestärken das ethnischw "Wirgefühl".