Ein etwas anderes Weihnachten

Was macht für dich Weihnachten aus?
Hätte man mir diese Frage vor einem halben Jahr gestellt, dann wäre meine Antwort wohl etwa so ausgefallen: Weihnachten ist für mich Zeit mit der Familie, viel Schokolade, Weihnachtsmärkte mit Glühwein, Lieder singen, eine wunderschöne Weihnachtsmesse in St. Nikolaus und gemütliche Momente vor dem Kamin.
Jetzt, ein halbes Jahr später war ich allerdings gezwungen, diese Antwort noch einmal zu überdenken, ansonsten wäre Weihnachten wohl komplett für mich ausgefallen. Dieses Jahr hatte ich weder einen Kamin, noch bekannte Weihnachtslieder zur Verfügung und auch meine Familie und Heimatgemeinde waren etwas weiter weg als die letzen Jahre. Und trotzdem habe ich dieses Jahr ein wirklich schönes und vor allem bereicherndes Weihnachtsfest verbracht.  Hinter Weihnachten steckt also scheinbar doch mehr als nur Glühwein und Schokolade.

Da hier in Bolivien Adventskalender vollkommen unbekannt sind und auch Schokoladenweihnachtsmänner noch keinen triumphalen Einzug in das Süßigkeitensortiment der Marktstände feiern konnten (ich weiß nicht, wie es in Supermärkten aussieht, davon gibt es in El Alto nicht gerade viele) kam bei mir im gesamten Dezember keine wirkliche Weihnachtsstimmung auf. Auch der Besuch eines kleinen Weihnachtsmarktes einer deutschen Gemeinde in La Paz konnte dies nicht ändern und so bin ich zu dem Schluss gekommen, mich gar nicht weiter an den „fehlenden“ Dingen aus Deutschland zu orientieren, sondern vielmehr einfach die Augen und Ohren offen zu halten, um zu sehen, was es im Gegenzug hier Neues zu entdecken gibt.
So ist mir als erstes der anscheinend nie enden wollende Konsum von Panetónes aufgefallen, die es hier an jeder Ecke zu kaufen gibt. Ein Panetón ist eine Art staubtrockener Kuchen mit wahlweise Schokostückchen oder Trockenfrüchten (mir hat’s nicht so gut geschmeckt).

Und selbst die, die Panetónes nicht unbedingt mit der Weihnachtszeit verbinden, konnten ab dem 2. Advent nicht mehr leugnen, dass es nun auf Weihnachten zu geht. Ganze Häuserfassaden blinkten plötzlich in den unterschiedlichsten Farben, in den meisten Wohnzimmern wurden Krippen und Weihnachtsbäume aufgestellt (letzteres leider aus Plastik) und ebenfalls mit einer Unmenge an Lametta und bunten Lichterketten geschmückt. Meinen Geschmack hat diese Art der Dekoration nicht ganz getroffen, aber mit der Zeit gewöhnt sich das Auge an fast alles.

Da wir im Kürmi schon seit Anfang Dezember ohne die Kinder arbeiten (hier sind im Moment Sommerferien und wir nutzen die Zeit für eine ordentliche Grundreinigung und Planungen für das nächste Jahr) fand dort leider keine wirkliche Weihnachtsfeier statt. Bei der Weihnachtsfeier der gesamten Fundase (Fundación Sembrando Esperanza) wurde uns allerdings die Ehre zu Teil, in der Messe das Krippenspiel aufzuführen. Die Rollenverteilung war recht leicht, meine schwangere Chefin bekam die Maria, David als einziger Mann den Josef und ich, um die ewige Tradition der Freiwilligen fortzuführen, den Engel.

Um wenigstens ein bisschen Traditionen zu mischen habe ich zusammen mit Gesa und Mirjam, zwei weiteren deutschen Freiwilligen hier in El Alto, einen Nachmittag lang Plätzchen gebacken. Von Vanillekipferln bis hin zu Schwarz-Weiß-Gebäck war alles dabei und zumindest meine Gastbrüder waren sofort begeistert von der Aktion. Mangels Waage und Messbecher wurden die Mengen einfach geschätzt, geschmeckt hat es aber trotzdem!
Dafür, dass ich am Anfang meinte, die Vorweihnachtszeit wäre quasi ausgefallen habe ich jetzt doch ganz schön viel geschrieben. Aber kommen wir nun zum Kern des Geschehens, dem 24. und 25. Dezember!

Schon gegen 10 Uhr morgens ging es am 24. im überfüllten Minibus Richtung La Paz. Oskar und Fabricio haben nämlich der  gesamten Familie ein Mittagessen im „Brosso“, einem Restaurant in La Paz, geschenkt. Trotz dass wir so früh gestartet waren kamen wir erst gegen halb eins am Brosso an. Ich habe die Straßen von El Alto bzw. La Paz noch nie so voll erlebt. Der eher rabiate Fahrstil der Busfahrer konnte auch nicht wirklich zur Verbesserung der Situation beitragen und so half lediglich warten und die Nerven nicht verlieren. Nach einem wirklich leckeren Essen mit enormen Portionen sind wir alle zusammen auf die „feria navideña“, eine Art bolivianischer Weihnachtsmarkt, gegangen. Dort haben meine zwei Gastbrüder, meine Tante, ihr Verlobter und ich eine Runde Tischkicker gespielt. Ja, Tischkicker. Hier in Bolivien findet man nicht selten auf Märkten einen kleinen Platz mit einigen Kickern, wo man dann für 50 Centavos pro Spiel sein Können (oder auch Nicht-Können) zur Schau stellen kann. Wir für unseren Teil hatten auf jeden Fall unseren Spaß!

Den gesamten Nachmittag haben wir dann dem Kaufen von Geschenken gewidmet. Es stand schon so gut wie fest, wer was geschenkt bekommen sollte und so mussten zum Beispiel nur noch die richtigen Schuhgrößen gesucht oder die Farbe des Schals bestimmt werden. Auf der einen Seite fand ich diese Einkaufstour etwas verwirrend, erstens war es meiner Meinung nach recht knapp am Heiligabend selbst noch Geschenke zu kaufen und zweitens ist so auch gar kein Überraschungseffekt da, auf der anderes Seite bekommt man so aber auch garantiert das, was man sich wünscht. Nachdem dann alle versorgt waren mussten wir uns schon etwas beeilen, wieder nach Hause zu kommen, schließlich wollten wir pünktlich um acht in der Messe sein und es musste noch Fleisch für den nächsten Tag gekauft werden. Doch mit etwas bolivianischer Gelassenheit war auch dies kein Problem. Als wir pünktlich um acht die Kirche betraten, konnten wir sogar noch Plätze in der ersten Reihe ergattern.

Da es wie schon fast zu erwarten dann noch eine weitere halbe Stunde dauerte, bis die Messe losging, hatte ich genügend Zeit, die Jesuskinder zu bewundern, die rund um die Krippe positioniert waren. Hier in Bolivien ist es Tradition, sein Christuskind von Zuhause mitzubringen, um es dann in der Messe segnen zu lassen. Doch glaubt nicht, dass man das einfach in eine Tüte stecken könnte, um es dann in der Kirche wieder auszupacken! In vielen Familien ist es Tradition, das Jesuskind jedes Jahr neu einzukleiden und auch die Wiegen oder Krippen sind mit bunt verzierten Stoffen ausgelegt. Von meiner Gastfamilie habe ich kurz vor der Messe eine kleine Minikrippe geschenkt bekommen und so konnte auch ich ganz stolz meine Krippe mit Lama und traditionell gekleideten Hirten vor den Altar stellen und segnen lassen.

Die Messe war für mich eines der Schlüsselerebnisse dieses Weihnachten. Trotz dass ich kaum Menschen in der Kirche kannte und trotz mangelnden Kenntnissen bolivianischer Weihnachtslieder habe ich mich pudelwohl gefühlt. Warum genau kann ich gar nicht sagen. Es herrschte in diesen eineinhalb Stunden einfach eine unglaubliche Stimmung und eine Art Verbundenheit, die diese Weihnachtsmesse für mich zu einem einmaligen Erlebnis gemacht haben. Das ein oder andere Tränchen konnte ich beim Gedanken an die Weihnachtsmesse und meine Familie in Deutschland dann aber doch nicht zurückhalten.
Nach der Messe ging es dann wieder nach Hause, wo wir noch etwas zusammen gesessen und erzählt haben. Meine Gastoma wollte gerne noch Tanzen (dazu später mehr) allerdings haben wir die CD nicht gefunden und so sind wir dann nach einigen Diskussionen, wer die CD jetzt wo verlegt habe, doch alle recht schnell in unseren Betten verschwunden.

Den Morgen des 25. habe ich damit verbracht, auf virtuellem Wege ein paar Weihnachtsgrüße zu verschicken, bevor es dann ans Wohnzimmer putzen und Tisch decken ging. Mittags haben wir dann Besuch von einer befreundeten Familie aus der Gemeinde bekommen. Es wurde traditionell Pikana gegessen, eine Art Suppe, die sowohl große Kalbs-, Schweine- und Hühnchenfleischstücke enthält, sondern auch Kartoffeln, Rosinen, Karotten, Bohnen und ganze Maiskolben. Bereits gut gefüllt haben wir uns danach gemeinsam an der mitgebrachten Torte mit Eis versucht, von der allerdings wie schon von der Pikana ein nicht ganz kleiner Teil übrig blieb. So brauchten wir aber zumindest am nächsten Tag nicht zu kochen!

Nun aber wirklich bis zum Anschlag gefüllt begab sich die Festgesellschaft dann erst einmal aufs Sofa, wo viel erzählt und gelacht wurde. Da ich vor allem durch Todos Santos bereits einige Freunde der Familie kenne, konnte auch ich mich ohne Probleme an den Unterhaltungen beteiligen, was ich sehr schön fand. Mein persönlicher Höhepunkt des Tages kam allerdings danach. Wie auch an Todos Santos wurde getanzt, diesmal allerdings für das Christuskind. Mir wurden zwei/drei Tänze als Beobachtungsphase gestattet, danach musste auch ich mein Können unter Beweis stellen. So viel wie an diesem Nachmittag haben wir glaube ich lange nicht mehr gelacht, es wurden die unterschiedlichsten  Tanzstile zur Aufführung gebracht und auch nach endloser Wiederholung der schönsten Lieder wollte die Feier einfach kein Ende nehmen. Auch wenn es für mich eine ungewöhnliche Erfahrung war, Knickse vor der Krippe zu machen und zu sogenannten Villancicos zu tanzen habe ich mich unglaublich wohl gefühlt und die ausgelassene Stimmung genossen!
Gegen Abend machten sich dann doch alle auf den Heimweg und wir haben uns mit dem Abwasch befasst.

Da es hier in Bolivien keinen zweiten Weihnachtstag gibt, war das Weihnachtsfest als solches hiermit also beendet. Zeitlich gesehen zumindest. Was mich persönlich angeht, bin ich immer noch damit beschäftigt, mir alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen, um auch nichts zu vergessen oder vielleicht zu oberflächlich zu bewerten. Eins habe ich auf jeden Fall bereits für mich mitgenommen: Weihnachten heißt für mich sich gegenseitig Aufmerksamkeit zu schenken, Zeit zusammen zu verbringen und Freude zu teilen. Ob ich nächstes Jahr vor meiner Krippe tanzen werde weiß ich noch nicht, doch ich werde mir garantiert die kleinen Figürchen in meiner Krippe anschauen und mich an eine ganz andere und trotzdem wertvolle Weihnachtserfahrung zurückerinnern.

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Kommentare: 2
  • #1

    Mama (Donnerstag, 22 Januar 2015 23:12)

    Es ist schön, dass wir alle dieses so ganz ungewohnte Weihnachten genießen konnten. In Gedanken haben wir Dich hier überall dabei gehabt. Vielleicht können wir nächstes Jahr die Geschichten darüber unter dem Tannenbaum erzählen...

  • #2

    Oma (Samstag, 24 Januar 2015 16:29)

    Du schreibst alle Berichte so schön, dass man sich dies alles
    vorstellen kann und mit viel Freude daran teilhaben kann.
    Weihnachten ohne Dich, war schon komisch.....