Raus aus dem Alltag!

Letzten Freitag haben wir, das Kürmi-Team, uns mit einer Gruppe von 22 Jugendlichen aus dem Kürmi nach Achocalla aufgemacht, einem Tal eine halbe Stunde von El Alto entfernt, um dort zwei Tage lang gemeinsam zu verschieden Themen zu arbeiten, zu spielen, die Umgebung zu erkunden und vor allem eine kleine Auszeit von unserem El Alto-Alltag zu nehmen. Vielen unserer Jugendlichen ist es nicht mal eben so möglich, am Wochenende wegzufahren, vor allem ohne ihre Familien, und so war es umso schöner, dass wir als Kürmi dieses Jahr so einen Ausflug ermöglichen konnten! (Pro Person hat der ganze Spaß um die 84 Bolivianos gekostet, das sind umgerechnet ca. 8,40€, klingt vielleicht nicht viel, das Geld muss man aber auch erst einmal haben!)
Getroffen haben wir uns bereits morgens um sieben (allerdings ein humanes bolivianisches sieben), um auch den kompletten Freitag nutzen zu können. Nachdem alle Rucksäcke kontrolliert, die ersten Fotos gemacht und die letzten Sachen zusammengepackt waren ging es dann auch endlich los. Ein Bekannter, der einen kleinen Bus besitzt, hat uns freundlicherweise nach Achocalla gefahren, sodass wir für die Fahrt nichts bezahlen mussten, ganz nach bolivianischer Art hatten wir allerdings zu wenig Sitzplätze, was die Fahrt für einige dann doch etwas kuscheliger/ungemütlicher gestaltet hat. Doch Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude und so hat es keinen wirklich gestört!

In Achocalla angekommen wurde dann erstmal die Unterkunft und das Gelände erkundet (unsere Zimmer waren allerdings erst gegen Abend fertig, dank schönem Wetter war das aber kein Problem). Ich für meinen Teil musste erst einmal einen Haufen Fotos von Bergen, Wiesen, Tälern und Häusern machen. Das Grün hatte mir dann doch gefehlt. Direkt neben unserem Haus standen auch zwei Kühe herum, die natürlich auch vor meine Linse mussten, immerhin meine ersten lebendigen Kühe seit langer Zeit! Meine Fotoaktion wurde allerdings von einigen Jugendlichen als Neugierde auf Grund von Unwissenheit interpretiert und so wurde ich dann freundlicherweise aufgeklärt, dass das eine Kuh sei und gefragt, ob es diese Tiere in Deutschland nicht gäbe (wenn die die Weide um meinen Garten herum kennen würden…).

Nachdem wir dann kleine kulturelle Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten austauschen konnten ging es auch schon mit den ersten Programmpunkten los. Es wurden Kleingruppen eingeteilt, in denen dann später gearbeitet wurde, wir haben zusammen Regeln für das Wochenende festgelegt und erste kleine Gruppenspiele zum warm werden gespielt. Daisy und Lizeth, die beiden Erziehrinnen die hauptsächlich mit den Jugendlichen arbeiten, haben für die gesamten zwei Tage ein wirklich schönes und abwechslungsreiches Programm entwickelt, welches das restliche Team dann in ausgedruckter Form ausgeteilt bekommen hat, damit wir selbstständig mit unseren Kleingruppen arbeiten konnten.

Bis zum Mittagessen haben wir uns in unseren Gruppen mit dem Thema „Sich selbst kennen und wertschätzen“ beschäftigt. Dazu gab es verschieden Dynamiken, Spiele, aber auch kleine Arbeitsblätter, auf denen die Jugendlichen z.B. Werte sortieren oder eigene Stärken und Schwächen suchen sollten. Trotz einiger „Startschwierigkeiten“ (Motivation fällt leider nicht vom Himmel, außerdem ist das natürlich auch ein sensibles Thema über das nicht jeder gerne offen redet) kann ich zumindest von meiner Gruppe sagen, dass wir eine sehr angenehme Arbeitsatmosphäre hatten, in der sowohl ernste Themen wie auch Späße ihren Platz gefunden haben.
Auf Grund eines etwas verspäteten, aber sehr leckeren Mittagessens verschob sich unser gesamter Zeitplan dann etwas nach hinten, trotzdem blieb neben der Arbeit in den Kleingruppen immer noch etwas Zeit für kleine Spiele oder Wettkämpfe. Aber auch passend zu unserem Nachmittagsthema „Kommunikation“ gab es unterschiedliche Dynamiken, um nicht nur in der trockenen Theorie zu verharren.

Nach einem anstrengenden, lustigen, erkenntnisreichen und vor allem sehr sonnigen Nachmittag (Wie ein waschechter naiver Touri hatte ich natürlich sowohl Sonnencreme als auch Sonnenhut Zuhause gelassen. Zuerst sah es so aus als hätte ich es endlich geschafft und den selben Hautton erreicht wie die meisten meiner Kollegen, das hielt jedoch nicht lange vor und so sehe ich leider bis heute zumindest in meinem Gesicht wie eine gefleckte Kuh aus, als würde ich hier nicht schon genug auffallen…) war für die Zeit vor dem Abendessen eine kleine Auszeit und Reflektion in Form eines Gebetes vorgesehen. Ich war zutiefst beeindruckt, wie ruhig und nachdenklich die Jugendlichen geworden sind. Das Thema „persönliche Fehler und Schmerzen, die wir dadurch bei anderen verursachen“ stand im Mittelpunkt und vielen Jugendlichen ist dieses Thema wirklich nahe gegangen. Nicht wenige, darunter durchaus auch Erzieher, haben ehrlich und offen die ein oder andere Träne (oder auch mehrere) vergossen. Auch für mich war das Ganze ein sehr emotionaler Moment. Viele der Jugendlichen haben es wirklich nicht leicht Zuhause, sind jeden Tag mit neuen Hindernissen konfrontiert, die man sich in diesem Alter definitiv nicht wünscht (und eigentlich auch in keinem anderen Alter). Umso schöner fand ich es, dass an diesem Abend scheinbar eine solche sichere Atmosphäre herrschte, dass jeder ohne Probleme seinen Gefühlen freien Lauf lassen konnte!
Im Anschluss brauchte es etwas Zeit, bis die Stimmung wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt war, doch spätestens bei der Zimmerverteilung nach dem Abendessen war zumindest der Lautstärke nach zu urteilen alles wieder beim Alten. Ein für mich sehr ungewohnter Punkt, mit dem ich mich bis jetzt noch nicht wirklich angefreundet habe, war, dass Erzieher und Jugendliche sich die Zimmer geteilt haben. Für mich persönlich war das schwer mit meiner Auffassung von Privatsphäre und dem gesunden Abstand zwischen Leitern und Teilnehmern zu vereinbaren, geschlafen habe ich aber trotzdem gut.

Bevor es aber ins Bett ging stand noch der langersehnte letzte Programmpunkt des Tages an, die „fiesta“! Während wir Erzieher den Saal mit Ballons und Girlanden geschmückt, Musik vorbereitet und Popcorn und Chips verteilt haben ging es in den einzelnen Zimmern hoch her. Da wurde Schminke und Parfüm getauscht, die höchsten Schuhe gesucht und Kleider und Hemden begutachtet. Ihr dürft nicht denken, dass man etwa in einer einfachen Jeans auf diese Feier gehen konnte. Bei der Inspektion meiner aus Deutschland mitgebrachten Garderobe musste ich leider feststellen, dass ich mit so ziemlich allem, was ich dabei habe, relativ underdressed war, mithilfe eines Rocks und etwas Schminke konnte ich aber jeglichem Spott entgehen. Für mich war es recht ungewohnt, dass man den kompletten Abend nur mit der Person getanzt hat, mit der man auch den Saal betreten hat (also quasi seinem Partner für diesen Abend). Außerdem stand man sich die komplette Zeit in zwei Reihen gegenüber und auch die Musik war nicht ganz das, was ich von deutschen Feiern gewohnt war, trotzdem hatte ich viel Spaß beim tanzen! Gegen viertel nach zwölf war dann aber Schicht im Schacht und da wir als Erzieher ja mit auf den Zimmern waren herrschte auch relativ schnell Ruhe (wäre ich als Jugendliche mit gewesen, mir hätten das Quatschen bis tief in die Nacht, das Kichern und das andere Zimmer ärgern eindeutig gefehlt, aber da ich als Erzieherin da war habe ich mich eher gefreut, nachts nicht raus zu müssen, um irgendjemanden zu ermahnen).

 

An viel Schlaf war allerdings trotzdem nicht zu denken, am Samstag ging es natürlich wieder früh raus. Nach dem Frühstück haben wir uns zu einem nahegelegen See aufgemacht, um dort ein bisschen Fußball zu spielen und die Natur zu genießen. Da mein Gesicht bereits einen leicht rötlichen Ton angenommen hatte, habe ich den Tag mit Sonnenbrille und meinem Schal ums Gesicht gewickelt verbracht, ein optisches Highlight auf jedem Foto.
Nach dem Mittagsessen und einer kleinen Siesta ging es dann aber auch schon wieder Richtung El Alto, zurück in den Alltag.
Mir haben die zwei Tage mit den Jugendlichen wirklich viel Spaß gemacht, wie haben uns alle gegenseitig näher kennengelernt und viel Zeit zusammen verbracht. Ich glaube jeder hatte an diesem Wochenende die Möglichkeit, ein bisschen über sich hinauszuwachsen und es hat mich gefreut zu sehen, wie viele diese Möglichkeit auch genutzt haben!

 

 

 

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